Meine ersten Erlebnisse im Revier

 

 

Nachdem ich nun regelmäßig tagsüber im Freien bin und die Umgebung genauestens erkunde,
habe ich im Gemeinschaftsrevier natürlich die Bekanntschaft fremder Kater gemacht.

Hm, was soll ich sagen, nun ja, die Begrüßung fiel nicht allzu herzlich aus.

Pah, sie meinen, ich sei hier ja schließlich neu und hätte mich ihnen unterzuordnen.

 

Natürlich hab ich mich dagegen gewehrt, was denkt ihr. Das dumme ist nur, sie
sind im Moment noch größer und stärker als ich, so dass ich da ein wenig vorsichtig bin.

Mein Fauchen und Knurren beeindruckt sie wenig, sie folgen mir sogar bis in meinen Garten 
und dies ist mein Revier. Dreist kommen sie bis an die Terrassentüre und weichen nicht
von der Stelle.

Wenn ich drinnen bin ist es mir ja egal.

Einmal jedoch hat mich ein rot gestromter, fetter Kater auf der Terrasse dermaßen in die Enge
getrieben, ich hatte keine Chance gegen ihn anzukommen, so meinte ich jedenfalls.

Ja klar hab ich aufgegeben, war meine einzige Möglichkeit, mich vor seinem Angriff zu schützen.

Was ich gemacht habe? Mich einfach flach auf den Boden gelegt und ihm das Feld überlassen.

Er hat es wohlwollend zur Kenntnis genommen und sich verzogen.

Gefiel mir selber nicht so richtig. Ich kam mir klein und erbärmlich dabei vor, das könnt ihr mir glauben.

Du musst ihm die Stirn bieten, ging es mir durch den Katerkopf. Beweis ihm, wer du bist und was du
kannst gleich beim nächsten Besuch, der sicher nicht lange auf sich warten lassen wird.

So hab ich es denn auch gemacht.

Wenige Tage später hatte ich die Chance, ihm seine Grenzen zu zeigen und meinen Mut zu
 beweisen!

Wir spielten fangen.

 

Durch eine kleine Lücke im Zaun bin ich flugs rüber in den Nachbargarten gehuscht,
als der Boss
wieder einmal majestätisch durch mein Revier strich.
 

Er hat es erst gar nicht bemerkt, hihi. Aus sicherer Entfernung habe ich ihn beobachtet.
Dann entdeckte
er mich drüben.
 
Mit Mühe zwängte er sich durch das kleine Loch im Zaun, tja, das hat man davon, wenn man zu
dick ist! Bis er sich durchgearbeitet hatte, war ich längst über alle Berge, blitzschnell übers
Gartentor gesprungen und wieder in meinen Garten geeilt.

Versteckt in den Sträuchern konnte ich den verdutzten Blick des Eindringlings drüben im
Nachbargrundstück prima sehen. Ich hätte mich kugeln können vor Freude. Der Kerl
schnupperte überall und suchte meine Fährte. Es dauerte eine ganze Weile bis er feststellte,
seine Suche war vergeblich. Mit großen Sprüngen schoss er durch den Garten hin zum Tor 
und nichts wie drüber. Sekunden später stand er breitbeinig mit hoch erhobenem Kopf mitten
auf meinem Rasen und spähte umher.

Was nun? Was glaubt ihr?

Ich bin mit einem Satz auf die hohe Mauer auf der Terrasse gesprungen.

Wie ich das gemacht habe?

Passt auf, an der Wand hängen Blumenkästen, da bin ich einfach drauf und dann war es nur
noch eine Kleinigkeit.

Aber ihr glaubt' s nicht, der Kater starrte verdutzt zu mir hoch.

Anstatt es mir gleich zu tun stand der da wie versteinert. Hatte er mir wohl gar nicht zugetraut,
oh ja, im Springen bin ich der reinste Akrobat, da macht mir so schnell keiner was vor.

Dachte ich ....

Genüsslich putzte ich mir die linke Vorderpfote, behielt den Räuber aber fest im Auge.
Man weiß ja nie ...

Ich hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da setzte der Fremdling doch tatsächlich
zum Sprung an. Zugegeben, durchtrainiert ist er, hatte ihn unterschätzt, weil er so kräftig im Futter ist.

Wenn er gemeint hatte, mich nun zu erwischen, haha, Irrtum! Während er auf der einen Seite im
Anflug war, setzte ich oben zum Abflug Richtung Nachbar ab.

Nun saß er oben und ich stand unten, verschmitzt zwinkerte ich ihm zu.

Ich hatte plötzlich überhaupt keine Angst mehr, im Gegenteil, es fing an, mir Spaß
zu machen.

Von mir aus konnte das Spielchen noch eine Weile so weiter gehen, ich würde es ihm schon
zeigen, wer hier der Herr ist.

In meine Gedanken versunken hörte ich meinen Gegner von oben knurren und sah in letzter Minute,
wie er zum Absprung in Nachbarsgarten ansetzte.


Flink huschte ich zum Loch im Gartenzaun und flutschte hindurch, gerade noch rechtzeitig.
Als ich mich verstohlen nach meinem Verfolger umsah, posierte er bereits mit gebauschtem
 Schwanz dicht hinter mir, nur der Zaun trennte uns.

Oh weh, dachte ich, jetzt wird' s aber eng. Nichts wie weg. Das Knurren wurde bedrohlicher,
was sollte ich machen? Wieder auf die Mauer?

Nein, ich war doch kein Hasenfuß! Ich fauchte einfach zurück und rührte mich nicht von der Stelle.

Gleich wird er sich durch den Zaun zwängen und mich anspringen, wenn ich nicht das Feld räume.
Charly, überleg' s dir gut.

Doch nichts dergleichen geschah. Ich drehte mich zu ihm um. Er stand immer noch hinter dem Zaun
und fauchte und knurrte und knurrte und fauchte, was das Zeug hielt. Und mit welcher Ausdauer!

Hm, was du kannst, kann ich schon lange, wart' s ab.

Ich holte tief Luft, und dann stieß ich fauchende und knurrende Laute aus, das hättet ihr hören
sollen, die runden Kateraugen des frechen Kerls fielen ihm beinahe aus dem dicken Katerkopf
vor Verwunderung.

Meine Reaktion zeigte deutlich Wirkung!

Machs noch mal, Charly, spornte ich mich selber an. Nichts lieber als das.

Meine Bemühungen wurden tatsächlich belohnt.

Wie ein sich verziehendes Gewitter wurde sein Knurren und Fauchen schwächer und schwächer.
Ich dagegen versuchte, mich von Mal zu Mal noch zu steigern, und es gelang, ich war selber verblüfft.

Durch den Krach wurden dann leider meine Dosenöffner angelockt. Mit einem Ruck öffneten
sie die Terrassentür.

Wie vom Blitz getroffen schoss der rote Kater davon.

Empört und ein wenig enttäuscht drehte ich mich um und ließ durch meinen Blick kundtun:

Ich hätte es auch ohne eure Hilfe geschafft, so einen wie den vertreibe ich allemal!

Ich hatte damit wirklich Recht!

Nun, was glaubt ihr? Seit diesem Tag begegnen der Boss und ich uns mit gegenseitigem Respekt!

 

Euer Charly

 

© Helga Salfer